Sabine und ich haben uns in der Blogger-Community The-Content-Society kennengelernt.
Sabine verlor im Juli diesen Jahres ihren Mann. Die Nachricht von dessen Tod machte jeden einzelnen in der Community sehr betroffen.
Schreiben ist das, was Sabine in den Phasen der Trauer am meisten geholfen hat. „Sich die Trauer von der Seele schreiben und sich dabei sortieren“. Im September stellte sie sich der selbst erlegten Herausforderung, jeden Tag einen Blogartikel zu veröffentlichen.
Seit dem Tod ihres Mannes hat sich Sabines Leben sehr verändert. Im Zuge ihrer Neuorientierung ist sie aus dem gemeinsamen Haus ausgezogen und mittlerweile bewegen sich ihre beruflichen Pläne in eine ganz neue Richtung.
Es berührt mich sehr, dass einer meiner Newsletter dazu beitrug, ihre neue Coaching-Richtung als Trauergefährtin zu finden. Die Neugestaltung ihrer Website läuft gerade auf Hochtouren.
Weil ich mich mit dem Thema Trauer gerade intensiv beschäftige, freut es mich, dass ich Sabine zu diesem Thema interviewen durfte.
Inhaltsverzeichnis
1. Wie schaffest du es, jeden Morgen wieder aufzustehen und einem neuen Tag entgegenzugehen?
Ganz ehrlich: Ich weiß es nicht. Ich habe mich nicht motiviert, ich bin einfach nur aufgestanden und habe dann getan, was getan werden musste. Allerdings war das Bett auch einer der Orte, an denen ich besonders traurig war, weil Tim morgens eben nicht mehr neben mir lag. Das hat mir das Aufstehen sehr leicht gemacht.
2. Was hast du in der Situation am meisten vermisst? Was hätte dir geholfen?
Vermisst habe ich die Abwesenheit von etwas: Ich hätte mir sehr gewünscht, keine RatSCHLÄGE zu bekommen, nicht unmittelbar nach der Beileidsbekundung die Geschichte vom Verlust meines Gegenübers hören zu müssen. Keine Versprechungen wären auch gut gewesen. Denn wenn ich um die angebotene Hilfe auch gebeten habe, hatte ich sehr oft das Gefühl, ich sei unverschämt.
Ich hätte gut auf die floskeligen Beileidsbezeugungen von Bank, Versicherung, Bausparkasse verzichten können. Am meisten vermisst habe ich jedoch, dass die Menschen, die sich angesichts meines Verlusts hilflos fühlten, mir das auch sagen. Darüber habe ich auch einen Artikel geschrieben, weil es mich sehr verletzt hat. Der Artikel hat den Titel: „Drehe dich bitte nicht weg“.
Eine Nachbarin hat etwas getan, was mir sehr gut tat: Sie ist auf mich zugegangen und hat gesagt: „Eigentlich würde ich viel lieber weglaufen, weil ich gar nicht weiß, was ich sagen soll. Aber das will ich nicht. Also sage ich dir, dass ich keine Worte habe.“
Geholfen hätte mir, wenn ich das Gefühl gehabt hätte, das tun und sagen zu können, wonach mir gerade war. Und ganz klar: Jemanden an meiner Seite, die ein Gefühl dafür gehabt hätte, wann es gut ist, still zu sein und wann Worte oder Gesten gefragt sind.
3. Wie sieht deine Trauer heute aus und wie gehst du mit ihr um?
Schwankend. Als ich über die Phase des „Funktionierens“ hinaus war, also nach der Trauerfeier und der Beisetzung, wollte ich nur noch Rückzug. Niemanden sehen, mit niemandem reden, draußen sein. Oder Serien gucken. Am liebsten solche über „einsame Wölfe“, die einen Verlust erlitten haben, aber trotzdem weitermachten: Bosch, Luther… sowas.
Jetzt, vier Monate nach Tims Tod, fühle ich ihn und meine Trauer viel intensiver als unmittelbar danach. Es gibt unglaublich viele „Nie mehrs“ und erste Male allein. Das tut weh. Aber glücklicherweise kann ich diese Phasen ungestört von fremdem Einfluss ausleben.
4. Wie hat sich dein Leben nach Tims Tod verändert?
Ich bin zwei Monate nach seinem Tod aus unserem gemeinsamen Haus und unserer gemeinsamen Heimatstadt ausgezogen, habe den Kontakt zu seiner Familie auf ein notwendiges Minimum geschränkt, inzwischen auch den Hausschlüssel abgegeben. Und baue mir gerade ein neues Leben allein mit meinem Frollein Frieda auf. Ich mache keine Pläne mehr. Das hatte ich allerdings coronabedingt ohnehin stark eingeschränkt, weil ich mich nicht auf etwas freuen wollte, was dann doch nicht möglich war. Ich koche wieder ausschließlich „nährstofforientiert“, während Tim wunderbare Gerichte und Leckereien gezaubert hat, die mir sehr fehlen.
Das Allerwichtigste jedoch: Aus allem, was ich seit Tims Tod, aber auch bei anderen Abschieden, die ich nehmen musste, erlebt habe, ist etwas wirklich Gutes geworden. Ich weiß jetzt, was ich will und wie ich der Welt etwas Gutes tun kann. Deshalb habe ich mich entschieden, als Mentorin und eben Gefährtin andere Frauen in ihrer Trauer zu unterstützen, um ihnen genau das zu geben, was ich mir gewünscht, aber nicht bekommen habe.
5. Wie hat sich dein Blick auf das Leben verändert?
Mir ist viel bewusster, dass das Leben endlich ist. Ich plane wirklich nur noch das Nötigste und versuche ansonsten, im Jetzt zu leben. Ich bin dankbarer für das, was ist. Ich sorge besser für mich, weil ich finde, dass es eine Unverschämtheit dem Leben gegenüber wäre, wenn ich mit Ärger und Groll durch die Gegend laufe.
6. Was denkst du heute über den Tod?
Das gleiche wie vor dem 25. Juli: Der Tod ist für mich ein Freund, der mich daran erinnert, dem Rest meines Lebens (der genau jetzt beginnt) einen Sinn zu geben, statt dem Sinn meines Lebens einen Rest. Er ist Übergang in einen anderen Zustand. Er ist „Nach-Hause-Kommen“. Und im Grunde wünsche ich mir einen ähnlichen Tod wie Tim ihn hatte: Mit einem guten Gefühl einschlafen und nicht mehr aufwachen. Oder eben im Zieleinlauf meines letzten Marathon einfach umfallen.
7. Wie trittst du mit deinen Lieben in Kontakt?
Ich rede mit ihnen. Andauernd. Eine Außenstehende könnte das für „putzige Selbstgespräche“ halten. 😉 Wenn morgens beim ersten Hundegang diese Krähe (es ist immer dieselbe) „meckert“, sage ich „Guten Morgen, Liebster, es ist noch zu früh für dich!“, ich erzähle ihm von meinem Tag, von meinen Gedanken, sage ihm, wie sehr er mir fehlt. Und sehr oft spüre ich ihn. Seine Hände auf meiner Schulter, ganz leicht, als wollte er sagen: „Hey, ich bin da!“.
Und ich denke bei vielen Dingen an die Lebewesen, die schon gegangen sind: Wenn ich ein Werkzeug in der Hand halte, denke ich an meinen Lieblingsonkel, beim Alleinsein sehr oft an meine Mutter, die auch sehr gern allein war, und manchmal sind der Herr Schmitt und Luna (zwei sehr nette Hunde) an Friedas und meiner Seite, wenn wir spazierengehen…
8. Welchen Tipp würdest du jemandem geben, der gerade einen lieben Menschen verloren hat?
„Tipp“ klingt für mich so, als gäbe es eine Möglichkeit, mit ein paar Worten einen Seinszustand zu ändern. Die gibt es nicht. Es gibt überhaupt keine Tipps, weil jeder Mensch Tod und Abschied anders erlebt. In meiner Weiterbildung zur Trauerbegleiterin habe ich gerade gelernt, dass der Zustand der Trauer zwischen einem und zehn Jahren dauern kann und die Trauernde dabei die verschiedenen Phasen immer wieder durchläuft. Wie sollte ich da Tipps geben?
Aus meiner Erfahrung der letzten Monate kann ich aber sagen: Versuche nicht, Dich „zusammenzureißen“. Du bist der einzige Maßstab dafür, was Du jetzt brauchst (und natürlich Deine Kinder, wenn Du welche hast). Die Gefühle werden kommen, ob Du sie verdrängst oder nicht. Du kannst sie also ebenso gut begrüßen und durchleben. Und wenn es Dir irgendwie möglich ist: Meide Menschen, die Dich einfach nur vollquatschen. Sei unhöflich, wenn es sein muss. Nimm Dir, was Du genau jetzt brauchst. Oder bitte darum in dem Bewusstsein, dass eine Bitte keinen Anspruch auf Erfüllung nach sich zieht.
9. Du hast dich für eine neue Coaching-Richtung entschieden. Was wird das Besondere deiner Arbeit sein?
Einen Teil habe ich schon bei der Frage danach, was sich an meinem Leben verändert hat, beantwortet. Nachdem ich sehr lange darüber nachgedacht habe, was ich gebraucht hätte bzw. noch heute brauche, habe ich mich entschieden, genau das anderen Frauen zu geben: Eine Gefährtin zu sein, die ihnen den Raum gibt, das zu tun, zu sagen, zu fühlen, was gerade da ist. Die den Ausdruck der Trauer aushalten kann, ohne Ratschläge, ohne „Ach, wein doch nicht!“, sondern die ihrem Gegenüber ermöglicht, diese Gefühle in der vorhandenen Intensität auch zu durchleben.
Und ich möchte denjenigen, die sich einen besonderen, unkonfessionellen und unkonventionellen Abschied wünschen, bei der Organisation helfen. Wenn sich jemand eine besondere Trauerrede wünscht, diese aber nicht selbst schreiben oder halten kann bzw. will, werde ich das ebenso übernehmen wie die Begleitung nach der Trauerfeier.
Ich glaube, dass ich hier die meisten meiner Begabungen und Ausbildungen anwenden und damit Gutes bewirken kann.
All das hat als „Überschrift“ meine Vision von einem guten, wertschätzenden und individuellen Umgang mit Tod, Abschied und Trauer.
10. Danke, liebe Sabine!
Dass du so ehrlich meine Fragen beantwortet hast. Ich wünsche dir für deine Zukunft das Allerbeste. Für dein neues Projekt wünsche ich dir, dass du vielen Menschen helfen kannst, einen besseren Umgang mit dem Thema Tod und Trauer zu finden.
Wenn du noch mehr von Sabine lesen möchtest, dann kann ich dir ihren zweiten Blog „Frieda bloggt“ sehr empfehlen. Darin schreibt sie Geschichten aus der Sicht ihres Hundes „Frollein Frieda“. Seit neuestem sind sogar Podcast-Sequenzen entstanden. Die Geschichten sind unterhaltsam, lustig und manchmal auch traurig.
Und noch etwas ist mir wichtig zu erwähnen. Damals fühlte und litt die Community mit Sabine mit und es kam der Wunsch auf, Sabine etwas Tröstendes geben zu wollen. Im Gespräch mit Silke Geissen ist dann die Idee entstanden, ihr ein kleines Trostpaket zu schicken, an dem sich einige in der Bloggercommunity beteiligten. Im Paket war auch ein Trösterkissen von mir enthalten.
Gerade läuft meine Aktion 20 x Erinnerungskissen Beim Interview entstand das nächste Projekt, Sabine ein Erinnerungskissen zu nähen. Wie Sabines Erinnerungskissen entstanden ist, kannst du demnächst in einem Blogartikel lesen.
Den Link zur Aktion findest du unten.
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