Ich war im Hospiz, um jemanden zu besuchen, der mir nahesteht. Beim Hinausgehen blieb mein Blick an einem bemalten Holzbrett hängen. Darauf stand in bunten Buchstaben:
„So wie man lebte, so stirbt man.“
Ein einfacher Satz – und doch so gewaltig in seiner Bedeutung. Ich stand davor, las ihn mehrmals und spürte, wie tief er etwas in mir berührte.
Denn diesen Gedanken trug ich schon lange in mir. Immer wieder hatte ich ihn bestätigt gesehen – im Leben, im Sterben, beim Abschiednehmen: Menschen sterben, wie sie gelebt haben. Verantwortungsvoll oder vermeidend, offen oder verschlossen, im Frieden oder im Widerstand.
Inhaltsverzeichnis
Verantwortung im Leben – Frieden im Sterben
Es gibt Menschen, die tragen Verantwortung, nicht aus Pflicht, sondern aus Liebe. Sie sorgen vor, ordnen, klären und sprechen an, was gesagt werden muss.
Sie regeln ihre Angelegenheiten, erstellen eine Patientenverfügung, besprechen das Erbe und schreiben vielleicht sogar ihre eigene Traueranzeige. Nicht, um Kontrolle zu behalten, sondern um ihren Lieben Last zu ersparen.
Ich erinnere mich an einen älteren Mann, der noch Wochen vor seinem Tod alle Unterlagen sortierte, Briefe an seine Kinder schrieb und sich bei jedem bedankte, der ihn durchs Leben begleitet hatte. Leise sagte er:
„Ich will, dass alles gesagt ist, damit niemand mehr suchen muss – nicht nach Papieren und nicht nach Worten.“
Als er starb, war es still. Friedlich. Es war, als hätte er einfach losgelassen, wissend, dass nichts mehr offen war.
Solche Menschen scheinen einen inneren Frieden zu tragen, der sie am Ende trägt. Sie gehen mit einer leisen Klarheit – als hätten sie schon lange vorher gelernt, loszulassen.
Verdrängung als Lebenshaltung – Festhalten als Folge
Und dann gibt es die anderen. Menschen, die nichts regeln wollen. Die Gespräche über Krankheit, Alter oder Tod mit einem Lächeln abwehren:
„Ach was, das hat doch noch Zeit.“
Oder: „Das sollen die Kinder später entscheiden.“
Doch das Leben vergisst nicht. Was du nicht ansiehst, bleibt. Und im Angesicht des Todes zeigt sich oft, was verdrängt wurde: Angst. Kontrolle. Festhalten.
Ich erinnere mich an eine Frau, die ihr Leben lang versuchte, alles unter Kontrolle zu behalten. Sie hatte immer das letzte Wort, wollte alles bestimmen – und auch am Sterbebett tat sie sich schwer, loszulassen. Noch im letzten Moment gab sie Anweisungen, wie die Blumen stehen sollten und wann das Licht ausgemacht werden sollte. Es war, als könnte sie den Übergang nicht zulassen, solange sie nicht sicher war, dass alles „richtig“ läuft.
Ihr Körper war müde, aber ihr Geist hielt fest – am Leben, an der Kontrolle, an alten Mustern.
Manchmal ist es nicht der Tod, vor dem wir Angst haben, sondern das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren.
Wie wir leben, so begegnen wir dem Ende
Es gibt auch Menschen, die ihr Leben lang Konflikten auswichen. Sie sagten selten, was sie wirklich fühlten, und trugen Verletzungen in sich wie kleine, fest verschlossene Kästchen. Und wenn der Abschied kam, blieben diese Kästchen verschlossen.
Ich erinnere mich an eine Frau, die zeitlebens eifersüchtig war – immer in Sorge, übersehen zu werden. Selbst im Sterben kämpfte sie um Aufmerksamkeit, als würde sie sonst verschwinden. Sie klammerte, wollte nicht allein sein und konnte nicht loslassen. Nicht, weil sie das Leben so sehr liebte, sondern weil sie den Frieden mit sich nie gefunden hatte.
Solche Menschen leiden nicht am Tod – sie leiden daran, dass so vieles ungelebt blieb. Denn der Tod erfindet nichts Neues. Er macht nur sichtbar, was immer schon da war.
Leben und Sterben sind keine Gegensätze
„So wie man lebte, so stirbt man“ – dieser Satz ist kein Urteil, keine Strafe, kein moralischer Zeigefinger. Er ist eine Einladung. Eine Frage an dich:
-
Wie gehst du mit Verantwortung um?
-
Wie gehst du mit Konflikten um?
-
Wie gehst du mit dem Leben selbst um?
Denn das, was du jetzt vermeidest, wartet auf dich – irgendwann. Und das, was du jetzt annimmst, trägt dich – irgendwann.
Bewusst leben heißt, dich schon heute auf das vorzubereiten, was unausweichlich ist. Nicht aus Angst, sondern aus Vertrauen.
Frieden entsteht mitten im Leben
Frieden fällt nicht vom Himmel, wenn der Tod naht. Er wächst dort, wo du heute ehrlich bist – mit dir selbst, mit anderen, mit dem Leben.
Es ist nicht die Krankheit oder das Alter, das das Sterben schwer macht – es ist das, was ungelöst bleibt: Unversöhnlichkeit, Schuld, Bitterkeit, das Nicht-Gesagte.
Doch du kannst beginnen, hinzusehen. Nicht, um alles zu klären – sondern, um dich zu befreien.
Denn jeder kleine Schritt in Richtung Frieden ist ein Schritt in Richtung Leichtigkeit. Und Leichtigkeit ist das, was dich am Ende trägt.
Bewusst leben heißt, bewusst loslassen können
Loslassen beginnt nicht am Ende, sondern mitten im Leben. Es beginnt, wenn du Verantwortung übernimmst – für deine Entscheidungen, deine Worte, dein Verhalten.
Wenn du aussprichst, was dich bewegt. Wenn du vergibst, auch ohne Entschuldigung. Wenn du Klarheit schaffst, damit niemand in deinem Namen rätseln muss.
Frage dich:
-
Habe ich ausgesprochen, was mir wichtig ist?
-
Bin ich mit den Menschen in meinem Leben im Frieden?
-
Habe ich geregelt, was geregelt werden muss – aus Fürsorge, nicht aus Kontrolle?
-
Und: Kann ich mich selbst annehmen, so wie ich bin?
Diese Fragen sind keine Last. Sie sind Wegweiser – hin zu dir selbst.
Denn wer bewusst lebt, kann bewusst loslassen. Und wer Frieden im Leben findet, findet ihn auch im Sterben.
Der Tod als ehrlicher Spiegel
Der Tod offenbart nichts anderes als das Leben selbst – ehrlich, ungeschönt, aber auch voller Liebe, wenn du sie zugelassen hast.
- Wer Vertrauen gelebt hat, vertraut.
- Wer Frieden gesucht hat, findet ihn.
- Wer immer gekämpft hat, kämpft weiter.
- Wer nie vergeben konnte, hadert auch am Ende.
Ich erinnere mich an eine Frau, die in ihren letzten Tagen sagte:
„Ich habe so viel Groll getragen. Jetzt sehe ich, dass er mich nie geschützt, sondern nur gebunden hat.“
Diese Einsicht – kurz vor dem Ende – war ihre Befreiung. Sie konnte dann einfach sagen:
„Ich bin bereit.“ Und sie ging – ruhig, still, versöhnt.
Ein stiller Auftrag des Lebens
Vielleicht ist dieser Satz – „So wie man lebte, so stirbt man“ – kein Urteil, sondern ein stiller Auftrag. Er erinnert dich daran, dein Leben bewusst zu gestalten, Verantwortung zu übernehmen, Frieden zu suchen – nicht aus Pflicht, sondern aus Liebe.
- Liebe zu dir selbst.
- Liebe zu den Menschen, die dich begleiten.
- Liebe zu dem Leben, das dir geschenkt wurde.
Denn am Ende bleibt nichts – außer dem, was du wirklich gelebt hast.
Der Tod nimmt dir nichts, er zeigt dir nur, was du warst.
Ein Kreis schließt sich
Ich denke oft an dieses bemalte Brett im Hospiz zurück. Nur ein kurzer Moment, ein einfacher Satz – und doch trug er alles in sich, was zählt:
-
Lebe so, dass du gehen kannst, wenn es Zeit ist.
-
Sprich, was gesagt werden will.
-
Ordne, was du ordnen kannst.
-
Finde Frieden – mit dir, mit dem Leben, mit dem, was war.
Denn eines Tages wirst du vielleicht sagen können:
„Ich habe gelebt. Ich habe losgelassen. Und jetzt darf ich in Frieden gehen.“
Reflexionsimpuls für dich
Nimm dir heute einen Moment der Stille. Frag dich:
Lebe ich so, dass ich eines Tages in Frieden gehen kann?
Jede ehrliche Antwort ist ein Schritt in Richtung innerer Freiheit. Und vielleicht erkennst du: Der Weg zum leichten Sterben beginnt mit dem liebevollen Leben.
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