In diesem Artikel möchte ich dir das Modell der „Körbe der Trauer“ vorstellen.
Kennst du das Gefühl, dass deine Trauer manchmal wie eine Welle über dich hinwegrollt und dich überwältigt – und dann wieder fast unsichtbar im Hintergrund deines Lebens lauert? An einem Tag fühlt sich alles schwer und dunkel an, am nächsten fragst du dich, warum du plötzlich lachen kannst, obwohl doch nichts mehr so ist wie vorher. Dieses Auf und Ab ist völlig normal. Doch wie kannst du damit umgehen? Wie kannst du deine Trauer greifbarer machen, ohne dass sie dich völlig vereinnahmt?
Eine mögliche Antwort darauf ist das Modell der „Körbe der Trauer“, das dir hilft, dein inneres Erleben zu verstehen und ihm eine Struktur zu geben.
Inhaltsverzeichnis
Ein alternatives Trauermodell – was steckt dahinter?
Die niederländische Theologin und Trauerbegleiterin Dr. Ruthmarijke Smeding entwickelte dieses Konzept, um die Vielschichtigkeit der Trauer begreifbarer zu machen. Während klassische Modelle wie das Fünf-Phasen-Modell von Elisabeth Kübler-Ross, Trauer als eine Abfolge von Stadien darstellen, geht Dr. Smeding einen anderen Weg. Sie sieht Trauer als einen dynamischen, individuellen Prozess. Kein klarer Anfang, kein festes Ende – sondern ein ständiges Wechselspiel zwischen verschiedenen Aspekten der Trauer.
Stell dir vor, du trägst verschiedene Körbe mit dir. Manchmal ist ein bestimmter Korb besonders schwer, manchmal rückt ein anderer in den Vordergrund. Doch sie alle gehören zu dir – und sie dürfen da sein.
Die vier Körbe der Trauer
1. Der Korb der Gefühle – wenn die Emotionen überfluten
In diesem Korb sammeln sich all die überwältigenden Emotionen: Schmerz, Wut, Angst, Schuldgefühle. Vielleicht hast du das Gefühl, dass sie dich von einem Moment auf den anderen überrollen – beim Anblick eines alten Fotos, beim Klang einer vertrauten Stimme oder einfach aus dem Nichts. Es ist wichtig, diesen Gefühlen Raum zu geben, anstatt sie wegzudrücken.
Hilfreich kann es sein, ein Trauertagebuch zu führen. Schreibe deine Gefühle nieder, ohne sie zu bewerten. Oder schaffe dir bewusste Zeiten, in denen du dich deinen Emotionen widmest – und danach wieder in den Alltag zurückkehrst.
2. Der Korb der Erinnerungen – die unsichtbare Verbindung
Erinnerungen können Trost spenden und zugleich schmerzen. In diesem Korb bewahrst du all die Momente auf, die du mit der verstorbenen Person erlebt hast: gemeinsame Lacher, Berührungen, Worte, die unausgesprochen blieben. Manchmal möchtest du dich bewusst an sie erinnern, ein altes Foto betrachten oder einen Brief schreiben. Ein anderes Mal kann eine unerwartete Erinnerung dich mitten ins Herz treffen.
Ein physischer Erinnerungskorb kann helfen: Sammle darin Fotos, Briefe oder kleine Gegenstände, die dir etwas bedeuten. So schaffst du dir einen bewussten Ort für die Verbindung zur Vergangenheit.
3. Der Korb der Veränderungen – wenn nichts mehr ist, wie es war
Ein Verlust verändert alles. Plötzlich stehst du vor neuen Herausforderungen: Entscheidungen, die früher gemeinsam getroffen wurden, musst du nun allein fällen. Routinen, die dir Halt gaben, brechen weg. Vielleicht fühlst du dich orientierungslos, als würdest du durch einen dichten Nebel tappen.
Dieser Korb steht für all die Anpassungen, die du bewältigen musst. Und auch wenn Veränderung anfangs beängstigend ist – sie birgt auch die Möglichkeit, neue Wege zu finden.
4. Der Korb der Zukunft – zaghaft nach vorne blicken
Vielleicht erscheint dir dieser Korb noch fern. Wie kannst du an die Zukunft denken, wenn die Vergangenheit so präsent ist? Doch dieser Korb symbolisiert Hoffnung. Nicht im Sinne eines „Weiter so“, sondern als behutsame Einladung, das Leben neu zu gestalten. Neue Rituale können helfen: eine Kerze für die verstorbene Person entzünden, eine Aktivität finden, die dir Kraft gibt, oder bewusst nach kleinen Momenten des Friedens suchen.
Nach vorne zu blicken bedeutet nicht, zu vergessen. Es bedeutet, die Vergangenheit in dein weiteres Leben zu integrieren.
Die Dynamik zwischen den Körben
Trauer ist kein linearer Prozess. An manchen Tagen dominiert der Korb der Gefühle, an anderen ist es der der Erinnerungen oder der Veränderungen. Manchmal fühlst du dich bereit für die Zukunft, nur um am nächsten Tag wieder von Wellen der Trauer überrollt zu werden. Das ist normal – und es bedeutet nicht, dass du „rückfällig“ wirst.
Die Körbe stehen auch für die Unterstützung, die du dir holen darfst. Gespräche mit anderen, kreative Ausdrucksformen wie Schreiben oder Malen können helfen, Erinnerungen in dein Leben zu integrieren, ohne dass sie erdrückend werden.
Warum dieses Modell „Körbe der Trauer so wertvoll“ ist
Im Gegensatz zu klassischen Trauermodellen, die oft als festgelegte Stadien verstanden werden, gibt dir das Körbe-Modell die Freiheit, deinen eigenen Weg zu gehen. Es nimmt den Druck, „richtig“ zu trauern – denn es gibt kein Richtig oder Falsch. Du darfst in deinem eigenen Tempo zwischen den Körben wechseln.
Wie du das Modell für dich nutzen kannst
Vielleicht fragst du dich, in welchem Korb du dich gerade befindest. Gibt es einen Bereich, der besonders viel Raum einnimmt? Und gibt es einen Korb, den du bisher vermieden hast?
Bestimme deine Körbe
Stell dir vor, du hast verschiedene Körbe für unterschiedliche Aspekte deiner Trauer. Neben den vier beschriebenen Körben kannst du auch eigene hinzufügen, etwa für Schuldgefühle oder Ablenkung.
Fokussiere dich gezielt
Setze dich bewusst mit den einzelnen Körben auseinander. Vielleicht schreibst du morgens über deine Gefühle, um dann wieder in den Alltag einzutauchen. So gibst du der Trauer Raum – aber nicht dein ganzes Leben.
Setze klare Grenzen
Manchmal droht die Trauer überhandzunehmen, dann hilft es, sich bewusst zu sagen:„ Dafür habe ich meinen Trauerkorb, und ich werde mich später damit befassen.“
Nutze Rituale
Rituale helfen dir, zwischen den Körben zu wechseln. Eine Kerze anzünden, eine Meditation, ein Spaziergang – all das kann dir Struktur geben.
Indem du deine Trauer in Körben ordnest, kannst du bewusst mit ihr umgehen, ohne dass sie dich vollständig einnimmt. So schaffst du Raum für deine Emotionen – und gleichzeitig für neue Perspektiven.
Schlussgedanken
Vielleicht hast du das Gefühl, dass du immer wieder in einen bestimmten Korb zurückfällst. Doch das bedeutet nicht, dass du nicht vorankommst. Jeder Moment der Trauer ist Teil deines persönlichen Weges, und es gibt kein Richtig oder Falsch. Manchmal trägt dich der Alltag, manchmal zieht dich eine Welle der Trauer zurück – beides darf sein.
Wichtig ist, dass du dir selbst mit Mitgefühl begegnest. Erlaube dir, Erinnerungen zu bewahren, Veränderungen anzunehmen und mit der Zeit wieder hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Die Körbe der Trauer helfen dir, all diese Aspekte in Einklang zu bringen – in deinem Tempo, auf deine Weise.
Trauer bedeutet nicht, loszulassen oder zu vergessen. Sie bedeutet, einen Weg zu finden, mit dem Verlust zu leben, ohne dich darin zu verlieren. Indem du deine Körbe bewusst füllst und nutzt, schaffst du Raum für deine Emotionen – und für das Leben, das vor dir liegt.
Welchen Korb möchtest du heute bewusst betrachten?
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