Im folgenden Artikel möchte ich beschreiben, wie du einen Umgang mit Wut, Schuld und Angst in Bezug auf deine Trauer finden kannst und dabei einen heilsamen Weg beschreitest.
Vielleicht kennst du diesen Moment: Alles um dich herum funktioniert weiter – und du stehst da, als hätte dir jemand den Boden unter den Füßen weggezogen. Die Welt dreht sich einfach weiter, obwohl für dich nichts mehr ist, wie es war. Und dann kommt nicht nur Traurigkeit, sondern auch Wut, Schuld oder Angst – Gefühle, mit denen du nicht gerechnet hast und die du vielleicht gar nicht fühlen willst. Aber genau diese Gefühle haben einen Sinn.
Trauer ist ein komplexer Prozess, der weit über den Schmerz des Verlusts hinausgeht. Sie umfasst eine Vielzahl von Emotionen – manche sind offensichtlich, andere überraschen dich oder verunsichern dich zutiefst. Besonders Wut, Schuld und Angst werden häufig als „unerwünschte“ Gefühle im Zusammenhang mit Trauer gesehen. Doch nach dem Trauermodell von Dr. Marijke Smeding sind sie nicht nur unvermeidlich, sondern essenziell für die Heilung. Indem du lernst, diese Gefühle anzunehmen und mit ihnen zu arbeiten, kannst du den Trauerprozess bewusster und heilsamer durchleben.
Inhaltsverzeichnis
Der Trauerprozess nach Dr. Marijke Smeding – Eine Einführung
Dr. Marijke Smeding beschreibt Trauer als einen aktiven Prozess, in dem unterschiedlichste Gefühle ihren Platz haben. Anstatt Trauer als linearen Weg zu verstehen, spricht sie von einem „Korb der Gefühle“, in dem Emotionen nebeneinander existieren dürfen. Das bedeutet, dass alle Facetten der Trauer durchlebt werden können, ohne dass du dich gegen bestimmte Gefühle wehren oder sie unterdrücken musst.
Dieser Ansatz unterscheidet sich von klassischen Trauermodellen, die Trauer in Phasen gliedern. Während im Trauermodell nach Elisabeth Kübler-Ross fünf aufeinanderfolgende Phasen beschrieben werden, betrachtet Dr. Smeding Trauer als chaotisch und individuell. Kein Gefühl kommt „in der falschen Reihenfolge“, keines ist unangebracht. Diese Perspektive kann entlastend sein, weil sie den Druck nimmt, sich „richtig“ verhalten zu müssen.
Doch was bedeutet das konkret für dich?
Wut, Schuld und Angst sind Emotionen, die in der Trauer besonders intensiv auftreten können. Statt sie zu verdrängen, kannst du lernen, sie zu verstehen und ihnen einen heilsamen Raum zu geben.
Wut – Die unterschätzte Kraft der Trauer
Beispiel: Paul verlor seinen Bruder bei einem Autounfall. Wochenlang war er wütend auf ihn – weil dieser sich ans Steuer gesetzt hatte, obwohl er übermüdet gewesen war. Diese Wut machte Paul Angst, denn er dachte, er dürfe den Verstorbenen doch nicht verurteilen. Erst in einer Trauergruppe fand er Worte für seine Gefühle – und erkannte, wie wichtig diese Wut war, um nicht in Hilflosigkeit zu erstarren.
Wut ist eine der häufigsten, aber auch am stärksten unterdrückten Emotionen in der Trauer. Vielleicht hast du selbst erlebt, dass du plötzlich wütend bist, ohne genau zu wissen, warum. Diese Wut kann sich auf verschiedene Bereiche richten:
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Wut auf den Verstorbenen, weil er oder sie dich verlassen hat.
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Wut auf Ärzte, das Schicksal oder eine höhere Macht.
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Wut auf dich selbst, weil du glaubst, etwas anders oder besser hättest tun zu können.
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Wut auf dein Umfeld, das dein Leid nicht versteht oder unangemessen reagiert.
Anstatt diese Wut zu verdrängen, kannst du lernen, sie bewusst wahrzunehmen und ihr Raum zu geben. Sie ist eine natürliche Reaktion auf Verlust und kann, wenn sie ausgedrückt wird, sogar eine heilsame Kraft entfalten.
Wie kannst du mit dieser Wut umgehen?
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Erkenne an, dass Wut normal ist und dir hilft, den Verlust zu verarbeiten.
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Finde gesunde Ausdrucksformen: Schreibe deine Gedanken auf, treibe Sport oder nutze kreative Wege, um Wut zu kanalisieren.
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Sprich über deine Wut – mit vertrauten Menschen oder in einer Trauergruppe.
Viele Trauermodelle zeigen, dass Wut eine sehr häufige Trauerreaktion ist, besonders in den ersten Monaten nach einem Verlust. Diese Emotion hat also ihren berechtigten Platz in deinem Prozess.
Schuld – Die lähmende Last
Schuldgefühle gehören zu den schmerzhaftesten Emotionen in der Trauer. Sie können rational oder irrational sein – in beiden Fällen lasten sie schwer auf der Seele. Typische Schuldgedanken sind:
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„Hätte ich mehr Zeit mit ihm/ihr verbracht?“
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„Ich hätte früher medizinische Hilfe in Anspruch nehmen sollen.“
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„Warum habe ich mich das letzte Mal gestritten?“
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„Ich fühle mich schuldig, weil ich wieder lache oder Freude empfinde.“
Schuld kann dich lähmen und den Trauerprozess blockieren. Doch es gibt Wege, diese Last zu lindern.
Wie kannst du diese Schuld loslassen?
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Mache dir bewusst, dass Schuld oft irrational ist – du hast dein Bestes gegeben.
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Schreibe einen Brief an die verstorbene Person, um deine Gedanken zu ordnen und dir selbst Vergebung zu schenken.
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Sprich mit einem Therapeuten oder nutze Methoden wie EFT, um dich von quälenden Schuldgefühlen zu befreien.
Angst – Die Unsicherheit nach dem Verlust
Beispiel: Sabine verlor ihren Mann nach 30 gemeinsamen Jahren. Nach der Beerdigung hatte sie das Gefühl, nachts nicht mehr atmen zu können. Die Angst, allein zu sein, überwältigte sie. Erst durch tägliche Spaziergänge und kleine Rituale – jeden Morgen Tee aus seiner Lieblingstasse, ein Licht im Fenster – schaffte sie es, langsam wieder Tritt zu fassen.
Angst ist in der Trauer allgegenwärtig. Der Verlust kann das Gefühl auslösen, dass der Boden unter den Füßen wegbricht. Typische Ängste sind:
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Angst vor der Einsamkeit
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Angst, nie wieder glücklich zu sein
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Angst, die Kontrolle zu verlieren
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Angst vor neuen Verlusten
Diese Ängste sind verständlich und zutiefst menschlich. Doch sie müssen dich nicht beherrschen.
Wie kannst du mit dieser Angst umgehen?
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Akzeptiere, dass Angst ein natürlicher Teil der Trauer ist.
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Entwickle Rituale, die dir Sicherheit geben – etwa Spaziergänge, Meditation oder eine tägliche Schreibpraxis.
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Sprich mit anderen Trauernden oder suche professionelle Unterstützung.
Indem du deine Angst nicht verdrängst, sondern annimmst, kannst du lernen, mit ihr umzugehen und nach und nach wieder Vertrauen ins Leben zu fassen.
Die Integration schwieriger Emotionen – Dein persönlicher Weg
Vielleicht magst du dir jetzt einen Moment Zeit nehmen: Welche dieser Emotionen begegnet dir in deiner Trauer gerade am stärksten? Und was würde sich verändern, wenn du sie nicht bekämpfst, stattdessen ihr für einen Augenblick zuhörst?
Das Ziel ist nicht, diese Gefühle loszuwerden, sondern sie als Teil deines Weges zu akzeptieren. Indem du sie bewusst annimmst, verlieren sie ihre lähmende Wirkung. Die Integration dieser Emotionen kann auf verschiedene Weise erfolgen:
Tipps zur Integration:
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Erstelle deinen eigenen „Korb der Gefühle“ – als Collage oder in Form eines Tagebuchs.
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Nutze EFT, um belastende Emotionen sanft zu lösen. Emotional Freedom Techniques (EFT) ist eine Methode, bei der durch sanftes Klopfen auf bestimmte Akupunkturpunkte emotionale Blockaden gelöst werden.
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Tagebuch als Trauerarbeit: Schreiben kann helfen, belastende Gefühle zu verarbeiten. Setze dich für 20 Minuten hin und schreibe ungefiltert über deine Emotionen.
Trauer ist kein geradliniger Prozess, sondern ein individueller Weg. Indem du lernst, all deine Gefühle – Wut, Schuld und Angst in Bezug auf deine Trauer anzunehmen und ihnen Raum zu geben, kannst du Stück für Stück wieder Vertrauen ins Leben finden.
Hinweis: Wenn Trauer dich überwältigt
Wenn du das Gefühl hast, dass dich deine Emotionen zu sehr belasten oder du allein nicht weiterkommst, ist es vollkommen in Ordnung – und sehr verantwortungsvoll –, dir Unterstützung zu holen. Eine Therapeutin, eine Trauerbegleitung oder eine Selbsthilfegruppe können dir helfen, deinen Weg nicht allein gehen zu müssen.
Hier findest du meine Angebote zur Trauerbegleitung.
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